Tagungsbericht: „Universität 4.0 – Folgen der Digitalisierung akademischer Lehre und Forschung“ am 03. und 04. November 2017 in Berlin

Die Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) ist der wissenschaftliche Berufsverband der Erziehungswissenschaftler_innen in Deutschland. Spannend also, dass von ihr eine Fachtagung zum Thema Universität 4.0 angeboten wurde, als deren Ziele eine Beschäftigung mit Fragen nach den Nutzungsmöglichkeiten digitaler Medien und den daraus resultierenden Folgen für Lehr- und Lernprozesse aber auch die Forschung angegeben wurde. Auf einer Metaebene sollte es um die Auseinandersetzung damit gehen, inwiefern die Veränderungsprozesse, die unter dem Schlagwort Universität 4.0 zusammengefasst werden, das Grundverständnis bzw. den Kern von Universität heute und zukünftig verändern werden. Um es direkt vorwegzunehmen – diesen Ansprüchen wurde die Tagung meiner Meinung nach leider nicht gerecht. Trotzdem gab es viele spannende Beiträge und Diskussionen, in die dieser Beitrag einen kleinen Einblick geben soll.

Universität 4.0 – was ist das eigentlich?

Industrie 4.0, Arbeit 4.0, Bildung 4.0 – diese Begriffe begegnen uns mittlerweile in immer mehr Kontexten und Formen, auch über die hier genannten Beispiele hinaus. Hinter der Versionszahl 4.0 verbirgt sich dabei scheinbar immer die Grundidee, dass die technischen und medialen Veränderungen, die wir aktuell beobachten können, in immer mehr Bereiche unserer Gesellschaft hineinspielen und die zunehmende Digitalisierung aller Bereiche unseres Alltags Entwicklungen in Gang setzt, die kritisch begleitet werden müssen, um zumindest zu versuchen, ungewollten Entwicklungen entgegenzusteuern, solange dies noch möglich ist. Was sich jeweils konkret hinter den 4.0-Begriffen verbirgt, bleibt dabei jedoch meist sehr unscharf. Vor diesem Hintergrund hatte ich mir von der Fachtagung zwar keine eindeutigen Antworten, aber doch Vorschläge oder Denkanstöße zur Begriffsklärung erhofft. Dies ist leider ausgeblieben. Die einzelnen Workshop-Stränge haben dabei durchaus spannende Themen beleuchtet – leider war das Programm so angelegt, dass nur der Besuch von zwei Workshops möglich war. Gerne hätte ich auch die Vorträge zu „Hochschuldidaktik und Digitalisierung“, „Abschied von den Printmedien?“ oder „Learning Analytics“ gehört, dies war aufgrund der parallelen Zeitpunkte jedoch nicht möglich. Was mir jedoch vor allem gefehlt hat, waren Formate die einzelnen Workshops wieder zusammenzuführen. Podiumsdiskussionen oder Ergebnisvorstellungen mögen durchaus kritisch gesehen werden – bei dieser Tagung hätte eine gemeinsame Auseinandersetzung durchaus fruchtbar sein können und vielleicht auch dabei geholfen, den Begriff „Universität 4.0“ mit Inhalten zu füllen.

Innovation und Kreativität durch neue Medien?

Digitale Medien werden häufig als Treiber oder sogar Auslöser für vielfältige Veränderungsprozesse gesehen. (Dass der Workshop im Titel noch mit dem Begriff „neue Medien“ arbeitet, ist in der Tat als etwas unglücklich anzusehen.) Prof. Dr. Michael Kerres von der Universität Duisburg-Essen hat sich in seinem Vortrag mit den unterschiedlichen Akteur_innen und ihren Verhältnissen zueinander in Innovationsprozessen, die durch die Digitalisierung ausgelöst werden, auseinandergesetzt. Von meiner Perspektive war dabei das Verständnis von Medienkompetenz bzw. Medienbildung, welches in dem vorgestellten Forschungsprojekt zugrunde gelegt wird, besonders interessant. Michael Kerres konstatiert einen zentralen Wandel: Während Medienkompetenz bzw. die Beherrschung digitaler Technologien früher als eine zusätzliche, additive Kompetenz zu den drei basalen Kulturtechniken (lesen, schreiben und rechnen) gesehen wurde, durchdringen digitale Technologien alle Elemente unserer Gesellschaft heute so sehr, dass Medienkompetenz als integraler Bestandteil dieser anzusehen ist. Es stellt sich die Frage, ob und wie lesen, schreiben und rechnen heute noch ohne digitale Medien funktionieren – und auch welche Folgen das für die Beherrschung dieser grundlegenden Techniken hat? (Mir ist dabei aufgefallen, dass ich eine der wenigen Teilnehmenden in diesem Workshop war, die sich auch handschriftliche Notizen gemacht hat.)

Veränderung von Medienkompetenz durch digitale Technologien (Abbildung: FernUniversität nach Getto & Kerres 2017)

In einem zweiten Vortrag in diesem Workshop wurde ebenfalls ein Forschungsprojekt vorgestellt, das BMBF-Projekt „YourStudy„. Hierbei geht es um das „eigensinnige Medienhandeln“ von Studierenden. Eigensinnig wird dabei nicht im alltäglichen Verständnis als widerständig oder abweichendes Handeln verstanden. Vielmehr wird aus einem soziologischen Blickwinkel untersucht, welche Medien Studierende auf welche Weisen nutzen, um ihrem Studium (evtl. auch ihrer Fachdisziplin) Sinnhaftigkeit zu verleihen. Dies ist schlussendlich auch eine originär bildungswissenschaftliche Frage, steht dabei doch auch die durch ein Studium hoffentlich angeregte Persönlichkeitsentwicklung bzw. -bildung im Fokus. Auch das Konzept des Habitus nach Bourdieu lässt hier vermutlich sehr herzlich grüßen. Im Projekt soll das Medienhandeln von Bachelorstudierenden untersucht werden – differenziert nach drei Fächern: Wirtschaftswissenschaften, Medienwissenschaften und Lehramtsstudiengänge. Zum Zeitpunkt der Tagung war erst die Phase der systematischen Studienreview abgeschlossen, so dass nur diese als Ergebnisse präsentiert werden konnten. Als Zwischenfazit lässt sich daraus festhalten, dass bisherige Studien vor allem die reine Nutzung untersucht haben, Sinnzuschreibungen und Medienverständnisse werden hingegen bisher außen vorgelassen. Ich persönlich bin sehr gespannt auf die weiteren Ergebnisse des Forschungsprojekts. Insbesondere wird es spannend sein, ob und wie diese auf die Studierenden der FernUniversität übertragen werden können.

Keynote: Hochschulbildung digital. Abschied vom Ideal der Universitas?

Der zweite Konferenztag begann mit einer Keynote von Prof. Dr. Ulf-Daniel Ehlers von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. Der Vortrag wurde von den Anwesenden zum Teil recht kritisch aufgenommen, wie den anschließenden Gespräch am Kaffeetisch zu entnehmen war. Ich für meinen Teil kann mich diesem negativen Urteil nicht anschließen. Der Vortrag hatte sich einen eher management-lastigen Blick auf Hochschule, aber gerade diesen Ansatz fand ich spannend und der Vortrag hat diesen Kerngedanken auch sehr konsequent, wie ich finde, durchdacht. Besonders prägnant war für mich das Schaubild, welches den Einfluss zweier gesellschaftlicher Trends auf die Institution Hochschule zeigt, nämlich auf der einen Seite dem Trend zu einer Bildungsgesellschaft und auf der anderen die Digitalisierung. „Antworten“ der Hochschule sind darauf zum einen die Fokussierung auf Lebenslanges Lernen und zum anderen auf Individualisierung und Diversität. Gerade die FernUniversität hat diese beiden Aspekte ja schon seit ihrer Gründung zu ihren zentralen Ideen gemacht hat.

Einflussfaktoren auf Hochschule (Abbildung: FernUniversität nach nach Ehlers 2017)

Gamification

Der zweite Workshop, an dem ich teilgenommen habe, befasste sich mit Gamification – also der Übertragung spielerischer Elemente und Strukturen in nicht-spielerische Kontexte. Im ersten Vortrag führte Renè Barth von der Universität Halle-Wittenberg zunächst grundlegend in den Begriff und seine Ausprägungen ein, bevor Klaudia Bovermann und Joshua Weidlich vom Lehrgebiet Mediendidaktik der FernUniversität (sic!) ihre Studie zur Gamification in der Hochschul- bzw. der Fernlehre vorstellten. Sie hatten sich auf spielerische Elemente in Moodle konzentriert und hier konkret mit Badges und Fortschrittsleisten gearbeitet. Ihre ersten Ergebnisse (leider noch auf Basis einer eher kleinen Stichprobe) zeigen dabei durchaus positive Tendenzen im Hinblick auf die Akzeptanz dieser Methode bei den Fernstudierenden. Eine Fortsetzung des Projekts ist vorgesehen, so dass mit weiteren Ergebnissen (und Veröffentlichungen) gerechnet werden kann. Der dritte Vortrag in der Reihe spannte den Bogen wieder auf die etwas größere Ebene und verstand Gamification als die Entwicklung von Mustern (als Design-Pattern verstanden), die zur Lösung eines konkreten Problems eingesetzt werden können. Über die möglichen Verknüpfungspunkte von diesem Ansatz zur gestaltungsorientierten Mediendidaktik, die Rahmenmodelle für die Lösung von Bildungsproblemen entwickelt, möchte ich gerne noch genauer nachdenken. Gleichzeitig stellte der letzte Vortrag des zweiten Konferenztages auch ein Modell zur Erforschung und Entwicklung von Gamification-Lösungen vor. Spannend fand ich dabei besonders, dass hier der methodische Rahmen des Design-based Research gewählt wurde.

 

Vorgehensmodell Educational Design Research (Abbildung: FernUniversität nach Lehmann, Raab, Roderus & Voit 2017)

Fazit: Ideen für eine FernUniversität 4.0?

Die gesamte Tagung lässt mich in der Rückschau etwas ambivalent zurück. Es gab – wie dieser Blogbeitrag hoffentlich zeigt – spannende Vorträge, die zum weiteren Nachdenken auch im Hinblick auf unsere Arbeit hier in der e-KOO angeregt haben. Gleichzeitig hat die Veranstaltung an sich aber meiner Meinung nach ihr Hauptziel nicht erreicht. Dies liegt vor allem daran, dass der Leitbegriff der „Universität 4.0“ weiterhin unscharf geblieben ist und nicht mit den – meiner Meinung nach dringend – erforderlichen Inhalten versehen wurde. Die Frage, ob es folglich auch einer „FernUniversität 4.0“ bedarf, würde ich daher mit einem „Nein“ beantworten. Allerdings nicht, weil ich nicht glaube, dass die FernUniversität nicht gesellschaftliche Entwicklungen beobachten und auf diese reagieren können sollte – sondern weil mein Eindruck ist, dass eine Vielzahl der Folgen der aktuellen Trends bereits durch die Grundidee und -struktur der FernUniversität aufgefangen werden. Spannend wird es sein, die konkreten Ausprägungen dieser Entwicklungen zu analysieren und insbesondere in die mediengestützte Fernlehre rückzukoppeln. Das genau dies seit jetzt vier Monaten das Feld ist, in dem ich mich auch beruflich bewege, freut mich dabei – ich denke, es werden noch viele spannende und innovative Ideen auf uns zukommen, die ihren Eingang in diesen Blog und unsere Workshops im Rahmen des Fortbildungsprogramms finden werden.

Weiterführender Hinweis:
Auch an anderer Stelle gab es bereits Rückblicke auf die Tagung. Hier sei nur beispielhaft auf die Blogeinträge von Prof. Dr. Gabi Reinmann (Universität Hamburg) und PD Dr. Markus Deimann (FH Lübeck) verwiesen.


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Wir laden Sie ein, in den Kommentaren mit uns in die Diskussion zum Thema einzusteigen. Gibt es eine Universität und/oder eine FernUniversität 4.0? Was sind deren Merkmale? Welche Vor- aber auch Nachteile könnten mit dieser verknüpft sein? Waren Sie selbst auf der Tagung und haben spannende Ideen aus den anderen Vorträgen mitgebracht oder Ergänzungen zu unseren Eindrücken? Wir sind neugierig auf Ihre Kommentare!



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