Projekt Schreibzentrum im Fokus

Schreiben muss keine einsame Tätigkeit sein

Andreas Bissels

Ich freue mich sehr, seit Mai 2021 Teil des e-KOO-Teams zu sein. Hier habe ich die spannende Aufgabe, im Rahmen des neuen Zentrums für Lernen und Innovation ein fachübergreifendes Schreibzentrum zu gestalten. In dem heutigen Blog-Beitrag stelle ich dieses Projekt vor: Was ist ein Schreibzentrum eigentlich – und wieso braucht man sowas?

In den vergangenen Jahren sind an deutschen Hochschulen[i], vielerorts gefördert durch den sog. Qualitätspakt Lehre, zahlreiche Projekte entstanden, die sich gezielt dem Thema Schreiben und der nachhaltigen Förderung von Schreibkompetenz widmen. Dieser Trend ist u. a., wenn auch nicht ausschließlich, darauf zurückzuführen, dass in der Fachlehre mitunter nur wenig Zeit bleibt, um das Schreiben als Handwerkszeug jeder Akademikerin bzw. jedes Akademikers fokussiert in den Blick zu nehmen. Dabei ist das Schreiben als Schlüsselkompetenz ein wesentlicher Bestandteil studentischer Lernprozesse und eine Voraussetzung für ein erfolgreiches Studium, egal in welchem Fach. Der Schreibdidaktiker Otto Kruse beschreibt dies wie folgt: „Das Schreiben an der Hochschule ist nicht einfach Versprachlichung von Wissen, sondern es bedeutet aktive Verarbeitung von Informationen, Ideen, Fakten, Meinungen und Erfahrungen zu Fachwissen.“[ii] Anders ausgedrückt: Schreiben ist das vielleicht wichtigste Denkwerkzeug, das uns zur Verfügung steht, und als solches fester Bestandteil akademischen (und letztlich lebenslangen) Lernens. Grund genug also, sich dem Thema anzunehmen – auch jenseits der Grenzen der eigenen Fachdisziplin.

Ziel des Projekts an der FernUniversität ist es nun, auch in Hagen eine fachübergreifende Anlaufstelle für Fragen des wissenschaftlichen Schreibens zu etablieren, die sowohl Studierende als auch Lehrende unterstützt und den Austausch über das Schreiben fördert. Dabei stehen im Grunde zwei Themen im Vordergrund: Zum einen geht es um Texte, ihre (sprachliche) Gestaltung, ihre Struktur, Themeneingrenzung, die Formulierung einer Fragestellung usw. Zum anderen geht es um das Schreiben als Tätigkeit; hierunter fallen etwa Aspekte der Selbstorganisation, des Zeitmanagements, der Schreibstrategie oder des Einstiegs[iii] in ein Schreibprojekt. Und auch wenn es mit dem Schreiben mal nicht ganz so läuft, wie man sich das vielleicht wünscht, hilft das Schreibzentrum weiter.

Zu den Angeboten des Schreibzentrums, die derzeit im Angebotskanon studyFIT entstehen, gehören hybride Workshops zum wissenschaftlichen Schreiben, eine fachübergreifende (Peer-to-Peer-)Schreibberatung, digitale Selbstlernmaterialien und nicht zuletzt Events[iv], die für das vielschichtige Thema Schreiben sensibilisieren. Bei der Konzeption wird das Schreibzentrum im engen Austausch mit den Fakultäten stehen, um die Entwicklung der Angebote zielgerichtet abzustimmen.

Im Kern verstehen wir ein Schreibzentrum als eine Lern- und Wissensressource: Wer Fragen hat zum wissenschaftlichen Schreiben, wird hier eine Antwort finden – und kann im Idealfall sein Wissen sogar ein wenig vertiefen. Dabei liegen unserem Ansatz verschiedene Erkenntnisse aus der Schreibforschung zugrunde:

1. Schreiben ist ein komplexer, kreativer Prozess – und wie dieser im Einzelnen verläuft, ist individuell verschieden. Das bedeutet u. a., dass es keine Patentrezepte für den Schreiberfolg oder die richtige Schreibstrategie geben kann. Daher setzen Schreibdidaktik und Schreibberatung „[…] bei den Schreibenden und deren Bedürfnissen an und unterstützt sie dabei, das Wissen und die Strategien zu entwickeln, die sie brauchen – in der jeweils aktuellen Textproduktion und weit darüber hinaus.“[v] Es geht also weniger darum, Texte zu optimieren; ein Schreibzentrum ist kein Lektorat oder Korrektorat. Vielmehr soll die Reflexion der Autor*innen in Gang gesetzt werden, damit sie selbst den Weg finden, den sie mit ihrem Text beschreiten möchten. In diesem Sinne stellt Schreibberatung „[…] eine begleitete Hinführung zum selbständigen Umgehen mit dem komplexen Schreibprozess […]“[vi] dar.

2. Zweitens sollte man sich immer wieder vor Augen führen: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Im Gegenteil: Ein Ziel eines Studiums ist es, im Laufe der Zeit und Schritt für Schritt zu lernen was es bedeutet, einen wissenschaftlichen Text zu schreiben. Und dabei kann (und sollte) man seine schriftsprachlichen Kompetenzen durch ausdauerndes Üben verbessern. Das bedeutet: Wer viel schreibt (und liest) wird sicherer und unweigerlich besser. Insofern ist eine weitere Aufgabe eines Schreibzentrums, Schreibanlässe zu schaffen und Anregungen zu formulieren, die helfen, das Schreiben zu einem alltäglichen Begleiter in Studium und Lehre zu machen.

3. Und schließlich noch ein Aspekt, der besonders im Kontext Fernuniversität betont werden sollte: Schreiben muss keine einsame Tätigkeit sein. Die Bestseller-Autorin Melanie Raabe etwa schreibt in ihrem sehr gelungenen Buch über Kreativität: „Ich habe in meiner kreativen Karriere viele Fehler gemacht, aber nur einen davon bedauere ich wirklich: Ich bin zu lange alleine geblieben. Habe jahrelang einsam vor mich hingearbeitet, statt mich mit anderen, die ebenfalls schreiben, zu vernetzen.“[vii] Um dieser Falle des kreativen Prozesses Schreiben zu entgehen, dient ein Schreibzentrum als ein Ort des vertraulichen Austauschs, der Vernetzung und des Schreibens in der Gemeinschaft; es ermöglicht das Reden über das Schreiben. Denn Fragen und Probleme lösen sich dann in Wohlgefallen auf, wenn man die Einsamkeit des eigenen Schreibtischs verlässt und mit anderen redet. Dazu gehört nicht zuletzt die Einsicht, dass man mit seinen Fragen nicht alleine ist.

Dies soll als Skizze meiner Arbeit und der Grundgedanken hinter dem Schreibzentrum genügen. Gehen wir zum Schluss vielleicht noch kurz auf die Frage ein, wie ich zum Thema Schreiben und zur Schreibberatung gekommen bin: Abgesehen davon, dass ich gerne und viel schreibe, habe ich ein Fach studiert, das recht schreibintensiv[viii] ist. Als Student der Sprach- und Kommunikationswissenschaft habe ich mir selbst oft Ansprechpartner gewünscht, die meine vielen Fragen zum wissenschaftlichen Schreiben beantworten; damals gab es Schreibzentren an nur sehr wenigen Hochschulen. Nach meinem Studium habe ich als Dozent dann auch noch die andere Seite kennengelernt und habe zahlreiche Schreibprojekte betreut. Seither stelle ich mir immer wieder die folgende Frage: Wie kann man Studierende in ihren Schreibaufgaben so unterstützen, dass das Schreiben zu einer Lust – und eben nicht zu einer Last – wird? In meiner Arbeit am Diversitätsorientierten Schreibzentrum der Universität Tübingen und am Schreiblabor der Universität Bonn konnte ich diesbezüglich einige Erfahrungen sammeln, die ich nun sehr gerne mit den Studierenden und Lehrenden an der FernUniversität teile. Wenn es dabei nicht nur gelingt, Fragen zum wissenschaftlichen Schreiben zu beantworten, sondern auch gelegentlich zu zeigen, dass Schreiben Spaß macht, ist meiner Meinung nach der Sinn und Zweck des Hagener Schreibzentrums erfüllt.

Weitere Informationen zur Arbeit und zu den Angeboten des Schreibzentrums erhalten Sie auf unserer Webseite: https://fernuni.de/schreibzentrum. Sollten Sie Fragen zum Projekt haben, können Sie sich jederzeit gerne per E-Mail an mich wenden.

 

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[i] Auf der Homepage des Schreiblabors an der Universität Bielefeld findet sich eine Übersicht der Schreibeinrichtungen und -projekte im deutschsprachigen Raum: https://www.uni-bielefeld.de/einrichtungen/schreiblabor/vernetzung/.

[ii] Kruse, Otto (2007): Keine Angst vor dem leeren Blatt. Ohne Schreibblockaden durchs Studium. 12., völlig neu bearbeitete Auflage. Frankfurt am Main: Campus, S.17.

[iii] „The scariest moment is always just before you start.
After that, things can only get better.“ King, Stephen (2012): On Writing. A Memoir of the Craft. Paperback edition. London: Hodder, S.325.

[iv] Hierzu zählt u.a. die geplante Durchführung einer Schreibnacht, wie sie vor mehr als zehn Jahren vom Schreibzentrum der Europa-Universität Viadrina erdacht wurde. Ein solches Event erfreut sich an deutschen Hochschulen großer Beliebtheit und ist an manchen Standorten ein fester Bestandteil des akademischen Jahres. Einen Überblick über bundesweit beteiligte Institutionen und Termine bietet der Schreibnacht-Blog: https://schreibnacht.wordpress.com/.

[v] Bräuer, Gerd/Girgensohn, Kathrin (2019): Geleitwort. In: Grieshammer, Ella et al.: Zukunftsmodell Schreibberatung. Eine Anleitung zur Begleitung von Schreibenden im Studium. 4. unveränd. Auflage. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, S.VIII.

[vi] Brinkschulte, Melanie (2014): Kollaboratives Lautes Erinnern als Methode in der Schreibberater*innen-Ausbildung. In: Westphal, Petra et al. [Hrsg.]: Peer Learning durch Mentoring, Coaching & Co. Aktuelle Wege in der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern. Immenhausen: Prolog-Verlag, S.125.

[vii] Raabe, Melanie (2020): Kreativität. Wie sie uns mutiger, glücklicher und stärker macht. München: btb, S.263.

[viii] Vgl. hierzu auch die folgende Studie: Schindler, Kirsten (2008): Wissenschaftliches Schreiben in Sprach- und Kommunikationswissenschaft – Zwei Beispiele für schreibintensive Lehrveranstaltungen in den Geisteswissenschaften. In: Zeitschrift Schreiben 3, S.1-8. Online verfügbar unter: https://zeitschrift-schreiben.eu/globalassets/zeitschrift-schreiben.eu/2008/schindler_wissenschaftl_schreiben.pdf [Stand: 21.05.2021].

 

 



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