Learntec 2020

Die mittlerweile 28. Learntec hatte wieder einmal einiges zu bieten. Auch wenn der Schwerpunkt der Messe auf Lernmanagementsystemen und vorgefertigten Inhalten für den betrieblichen Kontext liegt, ist sie zusammen mit dem Kongress und der Tagung „Digitale Hochschule“ ein großer Fundus an Ideen, Trends und Werkzeugen, der sehr inspirierend ist.

Ein Trend war unverkennbar. Wer, wie der Autor dieser Zeilen, bereits einige Jahre nicht mehr auf der Learntec war, bemerkte sofort, dass die Branche sich in den letzten Jahren stark vergrößert hat. Jedenfalls ist das der Schluss, der gezogen werden kann, wenn man von der Größe der Messestände ausgeht. Ein Truck mit ausfahrbaren Elementen, eine Live-Band, Kaffee- und Eisstände: Die Firmen ließen sich einiges einfallen, um ihr Publikum einzufangen.

Die schiere Menge an Vorträgen und Ständen machte es etwas schwierig, eine Auswahl zu treffen. Entscheiden musste man sich aber trotzdem.

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1. Tag: Mit Lego und Transformers in die Zukunft

AHEAD-Studie: Hochschullandschaft 2030

Der Start in den ersten Tag wurde von Tamagochi, Jenga, Lego und Transformers bestritten. So bezeichnen die Durchführenden der AHEAD-Studie die Lernmodelle, die es bis 2030 an den Hochschulen geben könnte.

  • Beim Tamagochi-Modell werden die Studierenden direkt im Anschluss an die Schule rundumversorgt. Sie müssen sich wenig Gedanken über ihre Lernpfade machen, weil diese vom Curriculum vorgegeben sind. Das ist also sozusagen das traditionelle Modell von Hochschule.
  • Bei Jenga wird nicht etwa versucht, Bildung zum Einstürzen zu bringen, sondern es handelt sich um ein verkürztes Erststudium (das solide Fundament beim Jenga-Turm), das später durch einzelne On-Demand-Studienblöcke ergänzt werden kann (der Jenga-Turm mit Lücken).
  • Unter dem Lego-Modell kann sich jede*r wahrscheinlich am meisten vorstellen. Die „Bildungsbausteine“ sind individuell kombinierbar und können aus unterschiedlichen Quellen – also nicht nur einer einzigen Hochschule – zusammengestellt werden. Das Problem der Anerkennung muss dabei gelöst werden: Wer erkennt was zu welchem Abschluss an? Welche Institution ist die zertifizierende?
  • Schließlich bezeichnet das Transformers-Modell die Transformation von ersten Bildungsabschlüssen nach der Schule hin zu einem später angefangenen Studium.

Was soll ich sagen? Die FernUni bietet das alles bereits an. Durch unseren Ansatz der Unterstützung sehr heterogener Studierender decken wir die aufgezeigten Modelle ab. Wer möchte, kann durch eine enge Begleitung gleich nach der Schule ein Studium durchziehen. Zeitlich sind die Studierenden bei uns äußerst flexibel. Wer am Anfang stringent studieren möchte, kann trotzdem später lockerer takten. Ganz locker geht übrigens auch. Schließlich haben wir eine ganze Menge an „Transformers“ unter unseren Studierenden. Fragt sich nur, was wir im Jahr 2030 machen, wenn wir das alles jetzt schon erfüllen. 🙂

Peer-to-Peer-Beratung des Hochschulforums Digitalisierung

Einen Einblick in die Ergebnisse einer Peer-to-Peer-Beratung des Hochschulforums Digitalisierung gab Dr. Simone Rehm, CIO der Universität Stuttgart. In intensiven Gesprächen mit Peers beschäftigte sich die Hochschulleitung der Uni Stuttgart mit dem Transformationsprozess. Erster Satz des Rektors laut Frau Rehm lautete: „Wir wollen eine Präsenzuniversität bleiben.“ Gut so, denkt sich da der Angehörige einer FernUni. 🙂

Dennoch hat die Uni Stuttgart eine Reihe von Maßnahmen auf dem Plan, die die Digitalisierung nach vorn bringen sollen: Tag der Lehre, Lehrpreis und sonstige Anreize. Die Transformation gelingt laut Frau Rehm nur als Top-Down-Prozess. Ob da alle Lehrenden mitziehen bleibt fraglich, ist aber vielleicht auch nicht so wichtig. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass das reine Warten auf Veränderung keine Veränderung bringt.

How digitalization is changing the way we learn

Eine altbekannte Tatsache stellte Christian Baudis (of AOL and Google fame) in seiner Keynote an den Anfang. Wir bilden für Berufe aus, von denen wir noch gar nichts wissen. Hacker sind vor 20 Jahren belächelt oder verteufelt worden. Bald schon werden sie zu den bestbezahlten Arbeitenden gehören, denn ihre Dienste entscheiden über zu vermeidende Kosten im Zeitalter der Digitalisierung. Das hat Konsequenzen für die Ausbildung in allen Bildungsbereichen und dieses Thema wird auch schon seit ein paar Jahren umfangreich diskutiert. So richtig hat aber noch niemand eine Lösung gefunden und das bleibt damit eine schöne Aufgabe für das kommende Jahrzehnt.

2. Tag: Zukunftsausblick

Künstliche Intelligenz

Eines steht fest: um das Thema Künstliche Intelligenz (KI) kommt die Bildungslandschaft in den nächsten Jahren nicht herum. Auch wenn noch lange nicht feststeht, was von den Projekten und Vorhaben in Zukunft Bestand haben wird und in brauchbare Anwendungen mündet, sind sich alle irgendwie sicher, dass es die Bildungsprozesse der Zukunft beeinflussen wird. Die Frage ist nur, wie und zu welchem Zweck.

Das war auch das Thema der ersten Keynote des Tages. Reinhard Karger, Unternehmenssprecher des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI), betonte genau diesen Punkt in seinem Vortrag. Ein gesunde Misstrauen gegenüber KI ist angebracht. KI-Anwendungen sind Werkzeuge, die zu einem Zweck eingesetzt werden sollten, ohne ihnen ein blindes Vertrauen entgegen zu bringen. Er machte dies am Thema Übersetzungen fest. KI kann eine hilfreiche Unterstützung beim Übersetzungsprozess sein. Allerdings müssen Personen, die ein auf KI basierendes Übersetzungstool einsetzen, beide Sprachen beherrschen, um gravierende Fehler zu vermeiden. KI-Werkzeuge haben keine linguistischen Kenntnisse und können doppelte Wortbedeutungen (vielleicht noch) nicht identifizieren. Sie arbeiten mit Mustererkennung und Wahrscheinlichkeiten, aber menschliche Kommunikation folgt nicht immer denselben Regeln.

Adaptive Schulbücher

Was alles mit Eyetracking und Temperaturmessung geht, wenn es um die Adaptierbarkeit von Lernmaterialien geht, stellte Prof. Jochen Kuhn von der TU Kaiserslautern vor. In seinem HyperMind genannten Projekt wird versucht, die kognitive Belastung von Lernenden über die beiden genannten Techniken zu messen und die Seite des Lehrbuch entsprechend anzupassen. Herr Kuhn betonte, dass das Projekt vor allem auf den Schulbereich abzielt.

Im Projekt wird davon ausgegangen, das verlangsamtes Lesen bedeutet, dass die Lernenden Schwierigkeiten mit einem bestimmten Inhalt haben. Dementsprechend werden an der Stelle weiterführende Informationen wie z. B. ein Glossareintrag zu einem Begriff angezeigt. Bei Leser*innen mit mehr Expertise werden Abschnitte ausgeblendet, wenn das Programm bemerkt, dass Absätze z. B. überflogen werden.

Der Ansatz basiert auf bereits geleistete Studien, die schon über 10 Jahre alt sind. Ein Video mit dem Titel „Text 2.0″ verdeutlicht, was bereits funktioniert.

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Die Frage ist, wie gut sich Lesende dem Textbuch anpassen können, wenn das Textbuch versucht, sich den Lesenden anzupassen. Das Projektteam arbeitet momentan an einem Prototyp, der mit echten Schülern getestet werden soll. Das Projekt macht auf faszinierende Weise klar, welche Potentiale das Thema KI haben kann. Dennoch – und das mag jetzt wieder ein „deutsches Ding“ sein – mischt sich auch etwas Skepsis bezüglich der Konsequenzen in die Beschäftigung damit.

Dass KI-Werkzeuge Aussagen über das Wohlbefinden von Schüler*innen machen, ist in China bereits Alltag, wie das Video des Wall Street Journals zeigt. Wohlgemerkt: Das ist keine Folge von Black Mirror…

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delina Preisträger 2020

Der delina Preis wurde in diesem Jahr zum 14. Mal verliehen. Die Seite des Preises mit den Nominierten ist immer eine gute Inspirationsquelle…

3. Tag: Didaktiksession

Mediennutzung und Lernendenzentrierung

Vier Professoren – nein, ich hab nicht vergessen zu gendern… – trugen am Morgen des dritten Learntec-Tages zu einigen didaktischen Aspekten vor und setzten bewusst auf kontroverse Titel und Vortragsschwerpunkte. Damit war eine Diskussion im Nu in Gang gesetzt, allerdings war das Format wenig geeignet, viele unterschiedliche Stimmen zu hören.

Professor Gerd Gidion vom Karlsruher Institut für Technologie startete mit der Vorstellung einer Studie zu den Gewohnheiten von Studierenden bei der Nutzung digitaler Medien. Dabei wurde eine Vielzahl von Werkzeugen erhoben und die Studierenden befragt, wie sie diese einsetzen. Einige Vermutungen, die schon immer herumgeisterten, wurden dadurch bestätigt. Marktanwendungen werden z. B. sehr viel häufiger genutzt als die jeweiligen Angebote der Hochschulen. Verkürzt gesagt: Lieber Dropbox als die entsprechende rechts- und datensichere Cloud-Lösung. Interessant war die Feststellung aus anderen Studien, dass sich Studierende häufig auf die eine Lehrende oder den einen Lehrenden festlegen, die oder der die Veranstaltung durchführt. Manchmal wird das durch YouTube-Videos erweitert, fast gar nicht werden Informationsressourcen anderer Hochschulen konsultiert. Das könnte natürlich vor allem an der Zeit liegen, die es dauert, diese Ressourcen zu finden.

Von der Uni Halle-Wittenberg kam ein sehr interessanter Impuls für alle, die sich mit Lehrvideos beschäftigen. Mit einem angenehm pragmatischen Ansatz referierte Professor Matthias Ballod zu kritischen Aspekten und Chancen von Lehrvideos. Ob man es gut findet oder nicht, das Thema Video nimmt durch YouTube soviel Fahrt auf, dass auch die Hochschulen kaum darum herumkommen. Interessant war vor allem sein Plädoyer dafür, Lernende selbst in einer Art Lernen-durch-Lehren-Ansatz zum Produzieren von Videos anzuregen. Durch die Auseinandersetzung und Aufbereitung des Stoffes für ein Video lernen die Studierenden Wichtiges von Unwichtigem zu trennen.

Eine Nachfrage aus dem Plenum wies auf die undidaktische Bereitstellung von YouTube-Videos hin. Videos sollten lieber in einer Lernumgebung eingebunden werden, bei der auch der Kontext didaktisiert ist. Die Frage ist, ob das Anschauen von didaktisch aufbereiteten Videos auf YouTube allerdings nicht immer in einem didaktischen Setting geschieht. Schüler*innen und Studierende wenden sich ja häufig an YouTube, wenn sie Inhalte in der Aufbereitung an Schule und Hochschule nicht verstehen. Sie lernen und damit befinden sie sich in einem didaktischen Setting. Nur eben in Eigenregie und ohne die Kontrolle einer lehrenden Instanz.

Das leitet vielleicht gut über zu den beiden anderen Vorträgen, in denen das Spannungsfeld zwischen eigenverantwortlichem und fremdgesteuertem Lernen auf zwei verschiedene Weisen beleuchtet wurde. Während Professor Christian Swertz von der Uni Wien für eine „Anarchie“ des Lernen plädierte, griff Professor Peter Henning von der Hochschule Karlsruhe das seit vielen Jahren diskutierte Konzept des Personal Learning Environments (PLE) auf. Wenn ich das richtig interpretiere, geht es bei der Anarchie um die Unvorhersagbarkeit von Entscheidungen von Lernenden. Herr Swertz kritisierte Studien, die aus kleinen Varianzen eine sichere Evidenz pro Einsatz von Medien machten. Lernende Personen sind aber keine statistisch erfassbaren Einheiten, sondern zeichnen sich durch Anarchie aus: sie entscheiden für sich selbst in unvorhersehbaren Situation, welche Lernpfade sie begehen. Bei den PLEs ging es seit jeher um die Möglichkeit, dass Lernende sich eine eigene digitale Lernumgebung schaffen und entscheiden, was sie benötigen. Nur basiert der Erfolg einer solchen Umgebung auf auswertbaren Metadaten, die die Lernenden dabei unterstützen Informationen zu finden. Die Entscheidungen sind also nicht mehr anarchistisch, sondern vorgeprägt durch die Lehrenden. Darüber hinaus kam aus dem Plenum der berechtigte Einwand, dass sich ohnehin niemand mit Metadaten auseinandersetze und wenn, dass dann z. B. unterschiedliche Repositorien inkompatible Modelle benutzen.

Ein schönes Schlusswort stellte schließlich ein Einwurf von Herrn Ballod dar, der wiederum den Pragmatismus betonte. Lernen, so Ballod, passiert im Lernenden. Die Lehrenden können Angebote machen, Pfade aufzeigen usw. Die Pfade finden kann aber nur jede*r Lernende selbst.

Und sonst so? Messerundgang.

Ein paar Messehighlights sollten am Ende noch erwähnt werden, vielleicht auch als weitere Inspirationsquelle:

  • Die Firma Proctorio ermöglicht eine KI-basierte Auswertung bei Prüfungen, die zuhause absolviert werden. Dabei wird nicht live überwacht, sondern die Auswertung geschieht im Anschluss. Die Prüfenden können eine Reihe von Kriterien festlegen, die Täuschungsversuche identifizieren. Eine Vielzahl an Quellen können dabei aufgezeichnet werden. Vielleicht für uns als FernUni interessant.
  • TechSmith wird im Sommer die nächste Version von Camtasia veröffentlichen. Die Beta-Version sah schon mal ganz interessant aus. Leider bedeutet das auch, das wir wahrscheinlich unseren Selbstlernkurs überarbeiten müssen… 🙂 Wenn’s soweit ist, verraten wir mehr.
  • Bei Rapidmooc geht es entgegen dem Namen nicht um MOOCs, sondern um eine GreenScreen-Video-Lösung aus einem Guss. Ein One-Button-Recording-Studio sozusagen und eine Alternative zu Videostudio und Schreibtischlösung.


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